Tag 5 - 15. Juni

Restaurant an der Straßenecke

(Quán Bia Hơi Bát Đàn)

Als der neue Tag beginnt, sind wir schon unterwegs. Unser erster Halt ist ein Restaurant an einer Straßengabelung, ein Ort, der später am Tag voller Leben und Energie sein wird, wo der Duft von dampfenden Phở-Suppen und frisch gebrühtem Kaffee die Luft erfüllt. Doch noch herrscht hier gähnende Leere.

Ich ziehe meine Kamera heraus und suche nach einem passenden Motiv, aber heute Morgen scheint es, als ob ich nichts Richtiges finde. Jedes Mal, wenn ich den Auslöser betätige, fühlt es sich so an, als ob etwas fehlt. Ich suche nach Aktivität, nach Menschen, die einer Beschäftigung nachgehen; doch die Farben, Texturen und Reflektionen, die es hier zu fotografieren gibt, sehe ich erst am Abend in den Bildern der Anderen.

Bambus zum Zweiten

Bambusstraße

Unser nächster Halt ist die Bambusstraße. Ich war hier schon einmal, aber sie ist immer noch genauso faszinierend wie beim ersten Mal. Die Bambusartikel, die überall zu sehen sind, erzeugen ein organisches Chaos. Obwohl ich das Gesamtbild noch nicht erkennen kann, scheint es auf merkwürdige Weise organisiert zu sein. Die Arbeiter wirken entweder bekifft, gelangweilt oder beides. Heute konnte ich mit meiner Kamera nur einige Details festhalten, wie beispielsweise eine Teekanne oder frei laufende Hühner.

Tempel

(Đình Đông Thành) Ich betrete die Stille des Đông Thành Tempels. Die tiefe Ruhe wird nur durch die monotonen Gebete eines einzelnen Mannes unterbrochen. Vor mir liegen viele wertvolle Artefakte wie eine aus Bronze gegossene Statue des Heiligen Huyền Thiên Trấn Vũ, Steintafeln aus der Nguyễn-Ära und die ältesten königlichen Dekrete der Thiệu Trị-Ära. Ich betrachte diese Artefakte und versuche, ihre Geschichte durch meine Linse festzuhalten.

Dies ist ein faszinierender Ort. Quietschbunte Opfergaben ziehen meine Aufmerksamkeit auf sich: rote und goldene Pakete mit Süßigkeiten oder Bündel von falschen Banknoten, sorgfältig arrangiert und angeboten. An der Decke räkeln sich geschnitzte Schlangen und Kranich-Figuren stehen stolz im Gang. Überall stoße ich auf figürliche Abbildungen der Heiligen, stumme Zeugen einer tiefen Religiosität und Geschichte.

Stadttor, diesmal von oben

Erneut stehe ich vor dem Stadttor Ô Quan Chưởng. Wir versuchen es dieses Mal besser einzufangen. Ein Problem ist jedoch die Position des Tores. In Bodenhöhe wirken die massiven Mauern eher erdrückend und die wahrhaftige Pracht des Tores lässt sich nur schwer einfangen. Doch gerade als wir uns dieser Herausforderung bewusst werden, eröffnet sich uns eine neue Perspektive.

Ich frage in einer benachbarten Suppenküche, ob es eine Möglichkeit gibt, das Tor von oben zu sehen. Ein Anwohner, der mein Anliegen versteht, lädt uns ein, seine Wohnung im ersten Stock zu betreten. Von dort aus haben wir einen guten Blick auf das Tor von oben. Plötzlich werden die alten Mauern in einem neuen Licht sichtbar und wir können die Größe des Tores im Verhältnis zu seiner Umgebung erfassen. Mit diesem neuen Blickwinkel gelingen mir endlich Aufnahmen, die das alte Stadttor in seiner Gesamtheit festhalten.