Im Juni 1999 hatte ich das unglaubliche Privileg, als Schauspieler des Klick-Theaters in Heidelberg das Brecht-Stück “Im Dickicht der Städte” aufzuführen. Es war eine aufregende Zeit voller intensiver Proben und Vorbereitungen, um die Essenz dieses anspruchsvollen Werkes zu erfassen.
Bei zwölf Aufführungen auf der Bühne zu stehen und die Rolle eines der zentralen Charaktere zu verkörpern, war eine Herausforderung, aber auch eine unglaublich lohnende Erfahrung. Das Publikum war fasziniert von den lebendigen Dialogen und der kraftvollen Inszenierung.
Besonders berührend war es zu erfahren, dass eine Zeitgenossin Brechts, die deutsche Lyrikerin Hilde Domin, die minimalistische Bühnenausstattung als äußerst authentisch empfand, “so wie Berthold es gemacht hätte”. Es war ein unvergessliches Erlebnis, Teil dieser Aufführung zu sein. Das Klick Theater hat mit dieser Inszenierung von “Im Dickicht der Städte” wahrhaftig seine künstlerische Stärke bewiesen.
Das Klick Theater Heidelberg widmet sich seit 1985 der anspruchsvollen Interpretation brisanter Theaterstücke aus den Zeiten von Bert Brecht. In Georg Kaisers “Klawitter” spielte ich die Hauptrolle des “Ernst Hoff”, in Bert Brechts “Dickicht der Städte” führte ich die Co-Regie und spielte den Seemann “Manky”.
Vorrede zu “Dickicht”, An den Herrn im Parkett
Ich denke mir, Sie wollen für Ihr Geld bei mir etwas vom Leben sehen. Sie wollen die Menschen dieses Jahrhunderts in Sicht kriegen, hauptsächlich seiner Phänomene, deren Maßregeln gegen ihre Nebenmenschen, ihre Aussprüche in den Stunden der Gefahr, ihre Ansichten und ihre Späße. Sie wollen teilnehmen an ihrem Aufstieg, und Sie wollen Ihren Profit haben von ihrem Untergang. Und natürlich wollen Sie auch guten Sport haben. Als Menschen dieser Zeit haben Sie das Bedürfnis, ihre Kombinationsgabe spielen zu lassen, und sind steif und fest gesonnen, ihr Organisationstalent gegenüber dem Leben, nicht minder auch meinem Bild davon, Triumphe feiern zu lassen. Deshalb waren Sie auch für das Stück “Dickicht”. Ich wußte, Sie wollen ruhig unten sitzen und Ihr Urteil über die Welt abgeben sowie ihre Menschenkenntnis dadurch kontrollieren, daß Sie auf diesen oder jenen der Leute oben setzten. Sie waren erfreut, daß das kalte Chicago so angenehm anzusehen ist, denn es gehört durchaus zu unserem Plan, daß die Welt angenehm sei. Sie legen Wert darauf, an gewissen sinnlosen Begeisterungs- und Entmutigungsgefühlen beteiligt zu werden, die zum Spaß am Leben gehören. Alles in allem habe ich mein Augenmerk darauf zu richten, daß in meinem Theater Ihr Appetit gekräftigt wird. Sollte ich es so weit bringen, daß Sie Lust bekommen, eine Zigarre zu rauchen, und mich selbst dadurch übertreffen, daß Sie Ihnen an bestimmten, von mir vorgesehenen Punkten ausgeht, werden ich und Sie mit mir zufrieden sein. Was von allem immer die Hauptsache ist.
Sie befinden sich im Jahre 1912 in der Stadt Chicago. Sie betrachten den unerklärlichen Ringkampf zweier Menschen und Sie wohnen dem Untergang einer Familie bei, die aus den Savannen in das Dickicht der großen Stadt gekommen ist. Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über die Motive dieses Kampfes, sondern beteiligen Sie sich an den menschlichen Einsätzen, beurteilen Sie unparteiisch die Kampfform der Gegner und lenken Sie Ihr Interesse auf das Finish.
Bertolt Brecht
Das Frühwerk Brechts
Zum Frühwerk Brechts werden die Stücke „Baal“, „Trommeln in der Nacht“ und „Im Dickicht der Städte“ gezählt. Kennzeichnend für diese Phase ist die Vorführung einer Reihe von Vagabunden und Außenseitern, in denen Brecht seinen Zwiespalt zur bürgerlichen Gesellschaft markiert. „Baal“ ist die Geschichte eines in jeder Hinsicht unmäßigen Menschen, (der sich in abgewandelter Form auch in einigen späteren Werken Brechts wiederfindet), einer weder besonders komischen noch besonders tragischen Natur, sondern einem Wesen mit dem Ernst aller Tiere. Im „Dickicht der Städte“ beschäftigt Brecht der Gedanke einer unendlichen Vereinzelung des Menschen, die so weit geht, daß sie selbst als Feinde nicht zusammen kommen können und ein Kampf zum unerreichbaren Ziel wird. Das Lebensgefühl und die Stimmungen, die dem Stück zu Grunde liegen, finden sich auch in Brechts etwa zur gleichen Zeit erstelltem Selbstportrait.
Programmheft
Theatertage der freien Gruppen
Aufgrund des großen Erfolges haben wir das Stück bei den dritten Heidelberger Theatertagen am 3. Dezember 1999 ein weiteres Mal aufgeführt. Wir haben damit den dritten Platz beim Wettbewerb des Heidelberger Theaterpreises belegt.